INTERVIEW: „30 % gewichtsreduziert“

Dr. Stephan Weinkötz






Unter diesem Motto stellt die BASF SE 2009 ein neues leichtes „Schwergewicht“ im Möbelbau vor. material+technik möbel sprach mit Dr. Stephan Weinkötz, Leiter des Projekts „Kaurit Light“ bei BASF, über die Vorteile der neuen, leichten Platte.
material+technik: Welcher Grundgedanke steckt hinter der Entwicklung von Kaurit Light?
Weinkötz: Die Idee, die hinter der Innovation „Kaurit Light“ steht, kommt eigentlich von unseren Kunden bzw. deren Kunden. Also von den Spanplattenproduzenten und -veredlern, sowie von den Möbelbauern. Das Thema Leichtbau wird dort schon länger als wichtiger Innovationstreiber diskutiert und es gibt bereits seit ein paar Jahren Leichtbaukonzepte. Mit denen ist man allerdings nur teilweise zufrieden. Lassen Sie mich zwei Beispiele herausgreifen: Die Hanfplatte und die Wabenplatte. Die Hanfplatte ist einer Spanplatte sehr ähnlich und lässt sich auch ähnlich bearbeiten. Allerdings hat sie zwei entscheidende Nachteile: die Verfügbarkeit und der relativ hohe Preis des Industriehanfs. Die Wabenplatte bietet beeindruckende Gewichtsvorteile, insbesondere bei großen Dicken. Sie kann aber nicht wie eine herkömmliche Spanplatte verarbeitet werden. Das heißt für den Möbelhersteller: Möchte er die Vorteile der Wabenplatte nutzen, muss er erst einmal kräftig investieren – und zwar Zeit und Geld!  Deshalb hatten wir es uns von Anfang an zum Ziel gemacht, einen Holzwerkstoff zu entwickeln, der nicht nur deutlich leichter ist, sondern auch auf bestehenden Spanplattenanlagen wirtschaftlich hergestellt und wie eine herkömmliche Spanplatte weiterverarbeitet werden kann. Und das ist uns mit Kaurit  Light gelungen!
material+technik: Was zeichnet die neue Platte gegenüber klassischen Spanplatten aus?
Weinkötz: Eine mit der „Kaurit Light“-Technologie hergestellte Platte ist im Vergleich zu einer herkömmlichen Spanplatte um bis zu 30 % leichter. Gleichzeitig bietet sie aber alle Vorteile der herkömmlichen Spanplatte – ob bei der Herstellung, der Verarbeitung oder der Weiterverarbeitung.
material+technik: Bis wann ist die Platte für Nolte exklusiv? – Gibt es bereits weitere Anwender aus dem Holzwerkstoffbereich und wann werden diese starten? Wie ist die Akzeptanz im Ausland?
Weinkötz: Bis Sommer 2009. Als wir einen Partner gesucht haben, der unsere Labor-Ergebnisse  im industriellen Maßstab umsetzt, hatten wir das Glück, mit Nolte Holzwerkstoff den idealen Partner zu finden: flexibel, schnell und mit großem Know-how. Und es hat sich für beide Parteien ausgezahlt: Denn schon 2008  konnte Nolte die Platte unter dem Markennamen „AirMaxx“  auf den Markt einführen. Eines ist auch klar: Selbst wenn die Exklusivität in wenigen Monaten endet, bleibt die Zusammenarbeit mit Nolte bestehen. Das Interesse bei anderen Anwendern an der „Kaurit Light“ Technologie ist aber auch groß, - sowohl im Inland als auch im Ausland. Wir haben bereits mit vielen Kunden gesprochen und auch schon erste Produktionsversuche durchgeführt.
material+technik: Wie ist das Interesse aus der Möbelindustrie? – Bisher setzt die Nolte-Gruppe diese Platte ein.
Weinkötz: Interesse seitens der Möbelindustrie besteht auf jeden Fall. Das zeigen die positiven Reaktionen und die vielen Anfragen, die sowohl wir als auch Nolte zu „Kaurit Light“ und „AirMaxx“  bekommen. Und das Interesse überrascht uns auch nicht, denn letztendlich kam der Wunsch nach einer leichten Platte ja nicht nur von den Herstellern von Spanplatten, sondern auch von den Möbelherstellern. Bei Nolte arbeitet vor allem Nolte Küchen, aber auch der zum Konzern gehörende Mitnahmemöbelhersteller CS Schmalmöbel mit den mit der „Kaurit Light“-Technologie hergestellten „AirMaxx“ -Platten. Bei Nolte Küchen sind es beispielsweise die dicken Küchenarbeitplatten, die aus „AirMaxx“  hergestellt werden.
material+technik: Wie verhalten sich die Kosten gegenüber klassischen Holzwerkstoffen? – Welche Änderungen sind im Produktionsprozess notwendig und welchen Einfluss haben diese auf die Kosten der Platte.
Weinkötz: Wichtig ist, dass man hier die gesamten Systemkosten betrachtet: die Herstellkosten der Platten, die Kosten für die Bekantung, für die Beschläge, die Transportkosten, usw. Das Ergebnis – die mit „Kaurit Light“ hergestellte leichte Platte ist auf jeden Fall wettbewerbsfähig! Dazu trägt auch bei, dass der Spanplattenhersteller im Wesentlichen bei seinem bekannten Produktionsprozess bleiben kann. Einzige Änderung: Der Rohstoff „Kaurit Light“ wird vor dem Einsatz auf der Spanplattenanlage aufgeschäumt. Dafür müssen die Möglichkeiten geschaffen werden. Man benötigt einen Vorschäumer, ein Zwischenlager und eine Dosiereinheit. Diese Vorrichtungen sind aber Stand der Technik und mit geringen Investitionen realisierbar.



Links eine herkömmliche, rechts die mit „Kaurit Light“ hergestellte leichte Spanplatte.
material+technik: Mit der hohen Materialstärke sind bislang nur einzelne Bereiche des Möbelbaus bzw. spezielle Designtrends abzudecken. Sind geringere Materialstärken wie 16, 19 oder 25 mm geplant?
Weinkötz: Diese geringeren Materialstärken sind nicht nur geplant, sondern teilweise schon realisiert. Unser Ziel war ja nicht, nur besonders dicke Platten leichter zu machen, sondern insgesamt einen leichteren Holzwerkstoff über alle Dicken hinweg anzubieten. Heißt also, die „Kaurit Light“-Technologie funktioniert unabhängig von den Plattendicken. Bei dicken Platten ist die Gewichtsreduktion natürlich auf den ersten Blick stärker spürbar. Auch deshalb haben wir uns anfänglich besonders darauf konzentriert.
material+technik: Ist die Adaption der Technologie für weitere Holzwerkstoffe wie MDF oder OSB denkbar?
Weinkötz: Den Schwerpunkt unserer Entwicklungen haben wir zunächst auf die Spanplatte gelegt. Wir arbeiten aber natürlich auch an der Übertragung der Technologie auf andere Holzwerkstoffe. Für MDF haben wir beispielsweise im Labor schon eine Gewichtseinsparung ohne Festigkeitsverlust nachgewiesen.  
material+technik: Welche Erfahrungen haben Sie mit den Biegefestigkeiten und der Kriechverformung im Einsatz als horizontales Möbelbauteil gemacht?
Weinkötz: Die Biegefestigkeiten der mit „Kaurit Light“ hergestellten Platten liegen bislang unterhalb der in der Norm für P2-Platten festgelegten Werte. Wichtiger als die Biegefestigkeit ist für den Möbelbauer allerdings die Durchbiegung. Das niedrige Eigengewicht der Platte ist dabei ein Vorteil. Für die Anwendung Küchenarbeitsplatten ist die Durchbiegung mehr als ausreichend. Für einen Regalboden mit einer 18 mm-Platte ist die „Kaurit Light“-Technologie ebenfalls geeignet. Allerdings werden hier die Werte einer konventionellen Spanplatte mit einer Dichte von 650 kg/m³ nicht ganz erreicht. Hier wollen wir besser werden und ich bin zuversichtlich, dass wir das auch hinbekommen.
material+technik: Welche Möglichkeiten des Recycling bietet die Platte?
Weinkötz: Eine mit „Kaurit Light“-Technologie hergestellte Platte kann wie jede herkömmliche Spanplatte recycelt werden. Sie kann stofflich verwertet werden, indem sie als Rohstoff in der Spanplattenherstellung  eingesetzt wird. Alternativ können gebrauchte Platten oder Produktionsreste thermisch verwertet, sprich verbrannt werden. Das Thema Nachhaltigkeit spielt in jedem unserer F&E-Projekte eine große Rolle. Gerade, wenn man ein Polymer, das auf Erdöl basiert, mit einem Holzwerkstoff kombiniert, der auf nachwachsenden Rohstoffen basiert. Wir haben zu diesem Zweck eine Ökoeffizienzanalyse durchgeführt. Dieses Verfahren wurde von BASF entwickelt und vom TÜV geprüft und bestätigt. In dieser Ökoeffizienzanalyse wurde der gesamte Lebensweg von Plattenherstellung, über die Nutzung bis zur Entsorgung analysiert. Das Ergebnis ist, dass die mit „Kaurit Light“ hergestellte Platte gleich gute Werte erzielt, wie eine herkömmliche Spanplatte. Und wir können davon ausgehen, dass bei diesem neuen Werkstoff auch hinsichtlich der Ökoeffizienz weitere Verbesserungen erzielt werden.
material+technik: Inwieweit ist vorstellbar, den Polymer-Anteil in der Platte weiter zu erhöhen und so die Werkstoffdichte noch weiter zu reduzieren?
Weinkötz: Das ist nicht nur vorstellbar, sondern sogar realistisch. In Labortests haben wir das bereits mehrmals nachgewiesen. Das ist das Faszinierende an der neuen Technologie: Wir haben die Möglichkeit für verschiedenste Anwendungen den optimalen Anteil an Polymer zu bestimmen. Maßgeschneiderte Spanplatten, sozusagen. Aber nicht nur der Anteil, sondern auch der Typ des eingesetzten Polymers kann weiter optimiert werden. Hierzu bieten sich in der BASF ideale Voraussetzungen. Wir können auf eine lange Erfahrung bei Polymeren und den daraus hergestellten Schaumstoffen zurückblicken. Gleichzeitig  haben wir eine große Kompetenz, was Leime und den damit hergestellten Holzwerkstoffen angeht. Ich denke, das ist eine einmalige Ausgangssituation.
material+technik: Auf einer Skala von 1 bis 10: Wie wichtig ist das Thema „Gewichtsreduzierung im Möbelbau“ heute und in Zukunft?
Weinkötz: Auf einer Skala von 1 bis 10 würde ich sagen: 12! Der Leichtbau ist ein sehr wichtiges Thema im Möbelbau. Das beweisen unter anderem auch die verschiedenen Vereine, Verbände und Interessensgruppen, die sich dem Thema widmen. Meiner Ansicht nach wird das in Zukunft nicht an Bedeutung verlieren. Diese Entwicklungen werden durch den Trend zu mehr Mobilität in der Gesellschaft und durch weiter steigende Energie- und Rohstoffpreise angetrieben. Eines ist dabei aber wichtig: Es geht nicht um Gewichtseinsparung um jeden Preis, sondern um eine „sinnvolle Leichtigkeit“. In vielen Fällen sind 30 % weniger Gewicht vielleicht sogar besser als 70 %.


material+technik: Welche Faktoren werden die Leichtbauidee künftig maßgeblich beeinflussen und vorantreiben?
Weinkötz:
Steigende Rohstoff- und Energiepreise werden gerne als Motivation für den Leichtbau aufgeführt. Das ist sicherlich ein wichtiger Aspekt. Denn durch ein niedriges Gewicht spart man Energie beim Transport oder auch beim Trocknen des Holzes. Und man spart natürlich Holz an sich, was vor allem bei den zu erwartenden steigenden Holzpreisen immer wichtiger wird.  Allerdings wird die Leichtbauidee meiner Ansicht nach nicht nur durch das Thema Kosteneinsparung vorangetrieben. Leichtbau ist mehr als der nachhaltige Umgang mit knapper werdenden Ressourcen. Auf allen Stufen der Wertschöpfungskette profitieren die Menschen direkt. Der Umgang mit den modernen Werkstoffen wird im wahrsten Sinn des Wortes leichter. Denken wir beispielsweise an die Monteure, die die Möbel aus dem LKW in den vierten Stock tragen müssen, oder an den Endkunden, der Mitnahmemöbel in seinen Einkaufswagen lädt.
material+technik: Mit welchem Markt-Anteil rechnen Sie mittelfristig bei dieser Platte? – Wie viele Kubikmeter halten Sie für realistisch? – Eignet sich die Platte für alle Märkte in der Welt? – Wo sehen Sie besonders große Chancen?
Weinkötz: Die Markteinführung bei Küchenarbeitsplatten läuft sehr gut. Wir sind davon überzeugt, dass die Platte das Potential hat, die herkömmliche Arbeitsplatte mittelfristig abzulösen. Im Bereich der Möbelplatten mit normalen Stärken sehen wir ebenfalls ein großes Potential. Für eine genaue Prognose, wie viel Prozent der Spanplatten in Zukunft mit „Kaurit Light“ hergestellt werden, ist es allerdings noch etwas zu früh.
Die Platte eignet sich für Märkte weltweit. BASF kann „Kaurit Light“ in Zukunft weltweit anbieten. Aber der Schwerpunkt – zumindest momentan – liegt in Europa, bei unseren langjährigen Kunden und Partnern.
material+technik: Wie reagiert der Möbelhandel/Verkäufer auf die Platte. Wird dieser auf die Besonderheit hinweisen oder wird es entsprechende Hinweise auf der Platte geben. Wie wird die Platte bei der Entsorgung des Möbels erkennbar sein oder gemacht werden?
Weinkötz: Wir gehen davon aus. Aus dem niedrigen Gewicht resultieren zahlreiche Vorteile und diese wird der Verkäufer als Argument nutzen.  Nolte geht genau so vor. Eine besondere Kennzeichnung hinsichtlich der Entsorgung ist nicht notwendig, da die Platte genau wie jede andere herkömmliche Spanplatte entsorgt werden kann.
material+technik: Herr Weinkötz, vielen Dank für das nette Gespräch.
Die Fragen stellte Nils-Christopher Görder






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